Ist das noch normal? – Temperamente von Kindern könnten bunter nicht sein und verunsichern gerne schon mal: Die einen klammern beim Abschied an den Beinen der Eltern – die anderen marschieren drauf los, ohne eines Blickes zu würdigen. Die einen wollen mit dem Kopf durch die Wand – die anderen beobachten bis ins Detail. Die einen sind schon! abgelenkt vom Gespräch – die anderen verschmelzen förmlich mit Ihrem Tun. Die einen kommen nicht aus dem Strahlen raus – die anderen schauen eher skeptisch drein. Es gibt Extrema und alles mögliche Dazwischen – kindliche Verhaltensweisen sind einzigartig spannend. Die entlastende Frage ist: Weißt du, wie dein Kind tickt und wie du es in seiner Entwicklung unterstützen kannst?
In diesem Blogartikel…
Er/sie ist so temperamentvoll ! ist zur salonfähigen Floskel geworden – wir haben eine vage aber ähnliche Idee davon, wie dieser Mensch aufzutreten hat. Mit Temperamentsforschung und vor allem Vielseitigkeit hat das allerdings wenig zu tun. Andersartige Menschen wären demzufolge temperamentlos – dabei bringt jeder Mensch seine ganz einzigartigen Ausprägungen zu bestimmten Temperamentsmerkmalen mit. Um Kinder individuell zu fördern, ist es wichtig die Diversität von Temperamenten gleichwertig anzuerkennen.
Sucht man bei Google nach Informationen zum Thema Temperament sind die 4 Typen aus der Temperamentenlehre nach Immanuel Kant die Spitzenreiter – obwohl sie längst überholt und wissenschaftlich nicht belegt sind. Dieses starre Modell basiert auf Theorien von Hippokrates aus der Antike, in denen Temperamente mit einem Überschuss oder Mangel an Körpersäften erklärt wurden.
Die moderne Temperamentsforschung definiert Temperament als angeborenen Anteil der Persönlichkeit, der ganz charakteristische emotionale Reaktionsweisen eines einzelnen Menschen beschreibt. Diese sind von Geburt an über einen längerfristigen Zeitraum beobachtbar. In einer 30-jährigen Längsschnittstudie haben die Kinderpsychiater Thomas & Chess, Babys und ihre weitere Entwicklung auf Temperamentsunterschiede hin untersucht und 9 differenzierte Temperamentsdimensionen aufgestellt.
Das Forscherteam unterteilte ganz spezifische Kombinationen dieser Temperamentsmerkmale in drei grobe Temperamentstypen, um klarer Aussagen über mögliche Entwicklungsrisiken treffen zu können:
35% der Kinder konnten keiner eindeutigen Gruppe zugeordnet werden – das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass du das Temperament deines Kindes situationsspezifisch anschaust und nicht in Schubladen denkst. Ein Kind, das einen Entwicklungsschub durchmacht oder sich in einer besonderen Übergangsphase befindet, verhält sich emotional auffälliger als gewöhnlich. Ein Kind, das sich zurückhaltend in Situationen mit neuen Menschen zeigt – kann in Bezug auf einen neues Kursangebot durchaus aufgeschlossen sein, das in ihm Neugierde weckt.
Kinder mit schwierigem oder langsam auftauendem Temperament wurden als herausfordernd erlebt – sie sind nachweislich höheren Entwicklungsrisiken ausgesetzt. Extreme Ausprägungen können in Verbindung mit ungünstigen Erfahrungen zu Verhaltensstörungen führen:
Klartext: Das Temperament, das ein Mensch von Geburt an mitbringt, hat einen großen Einfluss auf seine weitere soziale und kognitive Entwicklung.
Die Kernbotschaft der Temperamentsforschung lautet: Richtige Erziehung ist Gesundheitsprävention und Entwicklungsförderung. An das Temperament angepasstes Erziehungsverhalten ist wichtig, um deinem Kind zu helfen, kompensierende Erfahrungen zu sammeln. Denn: Das Zusammenspiel aus Temperament und Umwelterfahrungen beeinflusst die Entwicklung deines Kindes. Experten warnen vor einer verflachten Erziehungskultur, die keine korrigierenden Erfahrungen ermöglicht. Wie du deinem Kind in der Erziehung reflektiert Grenzen setzen kannst, erfährst du hier.
Kein Kind, das sich gern bewegt, lieber im Hintergrund präsent ist oder überschwänglich auf andere zugeht, ist nun verloren – genauso wenig Kinder die tatsächlich Verhaltensstörungen entwickeln. Entscheidend ist vielmehr: Du verstehst, wie dein Kind tickt und hilfst ihm einerseits, in einem gesunden Maße seine Vorlieben auszuleben und andererseits neue, ergänzende Fähigkeiten fürs Leben zu entwickeln, die ihm vom Wesen her zunächst schwer fallen.
Wie tickt dein Kind – und was kannst du daraus für deine Erziehung ableiten? Ein guter Indikator für die Stellen, an denen du als Mama oder Papa eingreifen solltest, sind die Verhaltensweisen deines Kindes, die dir im Alltag immer mal wieder Bauchschmerzen bereiten, dir unangenehm sind oder von denen du schlicht und ergreifend genervt bist:
Wenn dein Kind typischerweise…
Die nächste Frage lautet: Wie tickst du? Und was hat das mit deiner Beziehung zu deinem Kind und deiner Erziehung zu tun? Jahrzehntelange Persönlichkeitsforschung hält einen empirisch nachgewiesenen Konsens von 5 Persönlichkeitsfaktoren fest, die in jedem Jugendlichen/Erwachsenen in unterschiedlichen Ausprägungen zu finden sind:
schwache Ausprägung
starke Ausprägung
Extraversion
gesellig
konservativ, vorsichtig
Offenheit für Erfahrungen
neugierig, wissbegierig
nachlässig, spontan
effektiv, organisiert
selbstsicher, entspannt
emotional, verletzlich
mitfühlend, kooperativ
Kannst du dich an der einen oder anderen Stelle wiedererkennen? Auch hier gilt: Es gibt Extrema und alles mögliche Dazwischen. Differenzen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Wenig überraschend – ähneln die Persönlichkeitsfaktoren den Temperamentsmerkmalen und zeichnen einen möglich verlaufenden Spannungsbogen ab . Dich selbst gut zu kennen, hilft dir, dich so anzunehmen, wie du bist – mit all dem, was dir liegt und schwer fällt und daraus Lebensstrategien abzuleiten, die gut für dich funktionieren.
In der Beziehung zu deinem Kind hilft es, Kraftspender ausfindig zu machen, die euch auf einen gemeinsamen Nenner bringen und potenzielle Reibungspunkte aufzudecken, in denen es Kompromisse braucht, da ihr gegensätzlich tickt. So kann für introvertierte Eltern, ein sehr aufgeschlossenes Kind, das auf alle zugeht durchaus anstrengend sein – umgekehrt genauso.
Fakt ist: Du hast nicht versagt, wenn dein Kind sich schwer von dir lösen kann, ein nachdenkliches Gemüt hat, schnell hibbelig ist oder gerne in die Distanz-Wohlfühlblase anderer eindringt. Es ist völlig okay, dich mit Verhaltensweisen deines Kindes überfordert zu fühlen – schließlich durchlebst du jedes Mal aufs Neue einen Balanceakt zwischen den Signalen: Ich verstehe dich und – ich lenke dich in die richtige Richtung.
Falsch dagegen wäre, dich den Umständen gegenüber ausgeliefert zu sehen und mit der Haltung ranzugehen: Mein Kind ist halt so. Akzeptiere, was dein Kind mitbringt und gehe verantwortungsbewusst damit um. Ergreife die Chance, durch dein Kind jede Menge über das Leben zu lernen und ungeahnte Fähigkeiten in dir zu entfachen.
Temperamente bestimmen nicht das Schicksal – am Ende sind es die positiven Erfahrungen, die entscheiden: Erfahrungen, die wir als Eltern unseren Kindern ermöglichen. Erfahrungen, die wir uns als Erwachsene selbst ermöglichen. Dein Kind braucht dich, um sich selbst annehmen zu lernen und zu üben, wie es im Leben gut zurecht kommen kann. Klar ist: Du und dein Kind seid richtig, so wie ihr auf die Welt kommt – bedeutend ist, ob ihr einen gesunden Weg findet mit dem klarzukommen, was ihr mitbringt und euch erlaubt, das Beste draus zu machen.
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Magda Wijanto
B. A. Kindheitspädagogin und zertifizierte Resilienztrainerin